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Chess Classic Mainz

vom 14. bis 18. August 2002 in Mainz

Duell der Weltmeister, Rahmenprogramm, Termine, 1. Tag, Chess960, Ordix, Partien, Presse


Pressemitteilungen

Logo der Chess Classic Nachstehend Pressemitteilungen von Hartmut Metz, CCM-Pressechef:

 

Gespaltenes Echo
131 Teilnehmer beim ersten großen Chess960-Open

Beim Chess960-Open in Mainz sind nach dem ersten Tag noch elf Spieler ungeschlagen. Mit 4,5 Punkten nach fünf Runden führen der Schweizer Vadim Milov, Murtas Kaschgalejew (Frankreich), Rustem Dautov (SC Baden-Oos), der Inder Krishnan Sasikiran und der Plauener Klaus Bischoff. In Lauerstellung bei dem Wettbewerb, in dem die Ausgangsstellung der Figuren ausgelost wird, befinden sich die Russen Wladimir Epischin, Konstantin Asejew, Jewgeni Agrest, Alexander Motilew sowie zwei weitere deutsche Asse, Artur Jussupow und Vlastimil Hort. Auf vier Punkte kommen überdies der Wiesbadener Lokalmatador Eric Lobron, der in der Bundesliga für Solingen ans Brett geht, der ungarische Altmeister Lajos Portisch, Gerald Hertneck (TV Tegernsee), Michail Iwanow, Sergej Kriwoschej und Leonid Milov (alle Russland). Bester Spieler mit 3,5 Zählern ist Daniel Fridman. Der Lette in Diensten des Essener Zweitligisten Weiße Dame Borbeck hat beim Schachfestival in Pardubice ein kleines Chess960-Turnier gewonnen, das mit 28 Teilnehmern besetzt gewesen sein soll. Im 131 Teilnehmer zählenden Feld weisen Großmeisterin Natalia Kiselewa (Ukraine) und Anna Dergatschewa-Daus als beste Damen 3,5 Zähler auf. Die Rangliste zeigt: Mit Chess960 ist kein gänzlich neues Spiel erfunden worden, sondern die Guten im normalen Schach sind auch die Starken in der Abart. Die ersten 15 des Open, das bei etwa 450 Teilnehmern im normalen Schnellschach-Turnier mit rund 7.500 Euro dotiert sein wird, sind ausschließlich Großmeister.

Nachstehend finden sich Stimmen von Koryphäen, die sich zu ihren meist ersten Erfahrungen mit Chess960 äußern: Kiril Georgiew, ehemaliger Weltranglistenachter, findet Chess960 "interessant, obwohl ich Probleme bei der Eröffnung habe". Der Bulgare glaubt: "Diese Art von Schach hat Zukunft. Vielleicht etabliert sie sich in 20 Jahren neben der bekannten Variante." Für Dimitri Komarow, den Trainer von Weltmeister Ruslan Ponomariow, ist Chess960 "zu anstrengend. Man muss vom ersten Zug an kämpfen", klagt er - allerdings stand der Großmeister unter dem Einfluss von zwei Niederlagen, nachdem er mit 3/3 gestartet war. "Ich muss mir erst immer eine Strategie ausdenken. Manchmal mache ich dann Züge, die ich im normalen Schach nie ausführen würde", äußert Krishnan Sasikiran. Der Spitzenreiter aus Indien (Elo 2651) empfiehlt allen, die zu ernsthaft ins Chess960 gehen, es "doch einfach locker zu sehen". Vlastimil Hort hat sich ein besonderes Ziel gesteckt: "Einmal auf die Bühne kommen und dann sterben." Demnach droht der Experte für die WDR-Schachsendung am Sonntag - bei der 20. Auflage trifft Anatoli Karpow auf Robert Hübner - auszufallen. Mit drei Siegen und zwei Unentschieden ist der gute Bekannte von Bobby Fischer in der komfortablen Verfolgerrolle. Im Gegensatz zu vielen anderen Großmeistern sieht Hort auch nicht sonderliche Nachteile, wenn man Schwarz hat. "Verlieren fällt einem hier bei den tollen Spielbedingungen ohnehin leichter", ist dem Kölner nicht bange, sollte ihn doch eine Niederlage ereilen. 131 Teilnehmer für ein Chess960-Debüt hält der gebürtige Tscheche für "sehr gut. Ich freue mich, dass das so gut anläuft". Die einzige Furcht, die den ehemaligen Top-5-Spieler umtreibt, ist: "Ich habe fast Angst, eine normale Startstellung zu bekommen ..."

Gerade dies wünscht sich Henrik Teske. "Das Spiel ist völlig daneben. Am besten schafft man es gleich wieder ab", schimpft der Tegernseer Bundesligaspieler trotz seiner 3,5 Zähler. Richtig Spaß schien er nur an seiner Idee gehabt zu haben, in der fünften Partie die lange Rochade zu ermöglichen. Dabei stand der Monarch am Anfang auf b1 und der Turm auf a1. Besonders die Springer fehlen dem Großmeister bei der Verteidigung, wenn sie sich auf einem Flügel massieren. "Ganz blöd ist es beispielsweise, wenn die Springer auf f8 und h8 stehen", erkannte Teske gewisse Entwicklungsschwierigkeiten. "Weiß steht in vielen Partien viel besser", beklagt Peter Swidler. Der nominelle Turnierfavorit belegt dies gleich mit seinem Resultat: "Bei mir hat immer Weiß gewonnen! Im normalen Schach ist die Auftaktstellung viel ausgeglichener. Wenn man mit Schwarz nicht aufpasst, ist es in acht Zügen bereits mit einem vorbei ...", erzählt der Weltranglisten-14. Nachdem der St. Petersburger vor einer Woche Vater von Zwillingen wurde, sieht Swidler derzeit natürlich die Welt mit ganz anderen Augen. "Das Turnier sehe ich als Spaß, auch wenn ich derzeit nur mit +1 zu Buche stehe. Dass Chess960 Schach ersetzt, glaube ich nicht - aber es kann durchaus nebenher bestehen."

In dieselbe Kerbe des vergrößerten Anzugsvorteils haut Michal Krasenkow. Der polnische Weltklasse-GM verweist auf die fünfte Runde. "Mein Gegner zog 1.d4 - und ich wusste nicht, wie ich vernünftig antworten sollte! Weiß hat manchmal einen zu großen Vorteil." Chess960 hält der gebürtige Russe für "sehr schwierig". Als gut empfindet Krasenkow, dass das Spiel in manchen Positionen noch taktischer wird als das herkömmliche Schach. Positiver äußert sich Natalia Kiselewa. Die angehende Studentin aus dem Ruhrgebiet lernte die Regeln erst auf der Herfahrt im Auto mit Daniel Fridman. Ihr Rezept, "erst die Bauern zu ziehen, dann die Figuren" und "gleich mit Weiß vor dem ersten Zug eine Strategie auszuarbeiten" ging voll auf. Die Großmeisterin, die in der letzten Elo-Liste um rund 100 Zähler auf 2280 abstürzte, schlug Peter Swidler! An Chess960 gefällt ihr, dass dem "Tempo eine größere Bedeutung" zukommt. Turnierleiter Hans-Jürgen Post stellte einen weiteren erfreulichen Effekt fest: "Es gibt viel weniger Unentschieden!" Das unterstreicht Joe Gallagher, der nach fünf Runden mit drei Siegen und zwei Niederlagen zu Buche steht. "Das Spiel ist interessant und gut, wenn man auf Gewinn spielen will." Der Verlockung, der viele Akteure unterliegen, eine "herkömmliche" Stellung anzustreben, um auf Erfahrungswerte zurückzugreifen, widersteht der in die Schweiz ausgewanderte Engländer. Obwohl Gallagher als Eröffnungsexperte gilt - speziell im Königsgambit und Sizilianisch machte sich der Taktiker einen Namen als Buchautor -, schätzt er es, keine Eröffnungstheorie anwenden zu müssen. Weil schon die Startaufstellung schwierig sein könne, überlegt der Eidgenosse, wie er in den "ersten drei Zügen vorzugehen" hat. Diese Phase sei nämlich besonders wichtig, um einen durchschlagenden Plan zu finden. Der zwölfjährige Daniel Körnlein freut sich auch über die entfallende Theorie. "Da bin ich nämlich nicht der Beste. Ich habe gegen einen 2100er gewonnen. Gegen den wäre ich normalerweise schon in der Eröffnung vom Brett geflogen", meint das Talent des SC Frankfurt-West. Körnleins Ansicht nach "gibt es immer lustige Stellungen. Man kann ja eventuell sogar schon im ersten Zug rochieren", stellte der Junior fest.

Richtig fasziniert von Chess960 scheint Ruslan Ponomarjow zu sein! Der FIDE-Weltmeister verfolgte an seinem einzigen freien Tag bei den Chess Classic Mainz die Partien, speziell jene seines Trainers Dimitri Komarow und seines Sekundanten Viktor Bologan, der bei 3,5 Punkten steht. Schon im Vorjahr verfolgte er die erste "Weltmeisterschaft", die Organisator Hans-Walter Schmitt mit den Topspielern Peter Leko und Michael Adams angesetzt hatte. "Nur an die Partien kann ich mich nicht mehr erinnern", bemerkte Ponomarjow - schließlich muss man sich bei Chess960 nicht nur die Züge, sondern auch eine ungewohnte Ausgangsstellung einprägen ... "Chess960 ist interessant. Ich liebe es, dass es keine Eröffnungsvarianten gibt, auch wenn das Spiel schwieriger ist, weil alles anders erscheint." Trotzdem arbeitete der Ukrainer gleich an seinem Chess960-Repertoire. "Bei der Dame auf h1 ist g4 der beste Zug, dann muss a4 folgen", kommentierte der 18-Jährige eine Stellung. Gegen die "Eröffnungs-Fabrik" von Garri Kasparow wäre es ein immenser Vorteil, auf dem Weg zur WM-Titelvereinigung Chess960 zu spielen, weiß Ponomarjow. "Doch gegen ihn muss ich normal spielen, das ist keine Show." Ganz anders sähe er das am Freitagabend beginnende "Duell der Weltmeister" gegen Viswanathan Anand. Ponomarjow sagte: "Ich schlage vor, dass ich gegen Anand Chess960 spielen ..."

 

Der Computer war keine große Hilfe
Favoriten Anand und Swidler setzten sich in den Handicap-Matches durch
Von Eric van Reem

Zwei besondere Handicap-Duelle sind in der Rheingoldhalle ausgetragen worden. Der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel (DWZ 2075) spielte mit einem sehr schnellen Computer, einem mit 2,4 Gigahertz getaktetem Pentium 4 mit 512 MB Speicher gegen Ex-Weltmeister Viswanathan Anand, der mit einem Pentium-Notebook Pentium 600 MHz und 128 MB Arbeitsspeicher ausgestattet wurde. Beide Spieler durften während der Partie das weltweit bekannteste Schachprogramm Fritz 7 einsetzen, das die schwedische Computer-Weltrangliste anführt. Im zweiten Vergleich traf der russische Großmeister Peter Swidler (Weltranglisten-14. mit Elo 2690) ohne Computerunterstützung auf Eckhard Freise (Elo 2018). Der erste Gewinner einer Million Mark bei der Jauch-Quiz-Show "Wer wird Millionär" durfte ein schnelles Pentium Notebook mit 933 MHz und 256 MB RAM benutzen. Auf die Hardware von der Firma Elphotec aus Mainz wurde der frisch gebackene Weltmeister Junior 7 auf dem Notebook von Freise installiert. Außerdem kopierte sich der versierte Amateur aus Münster noch die Fritz-Powerbooks 2002 auf den Rechner, um in der Eröffnung nicht gänzlich auf Unterstützung angewiesen zu sein. Ernsthaft hat sich Freise auf das Match gegen Swidler vorbereitet. "Während meiner Schnellschachkarriere habe ich mir angewöhnt, bei Analysen mehrere Variantenstränge laufen zu lassen und immer wieder in die einzelnen Zugvorschläge hineinzugehen."

Der Oberbürgermeister kam dagegen nicht zum Training. "Nach dem Urlaub ohne Schach und PC geht es Mitte August sofort hinein in die Chess Classic". Vor dem Kampf gegen den Computer-Inder spielte Beutel einige Übungspartien mit dem Berichterstatter, um sich mit dem Computer und mit dem Programm Fritz vertraut zu machen. Auch er entschied sich, während der Partie zwei bis drei Varianten anzeigen zu lassen. Frederic Friedel von der Firma ChessBase gab noch einige wertvolle Tipps und somit konnte Beutel, der am Vortag beim Simultan gegen Alexandra Kostenjuk ein Remis verbuchte, mit einem sicheren Gefühl in den Kampf mit dem erfahrensten Advanced-Chess-Spieler der Welt gehen.

In der ersten Partie wartete Anand geduldig bis sein schwächerer Gegner den Faden verlor, in der zweiten Partie wählte der "Tiger von Madras" eine Anti-Computer-Strategie: Das Zentrum wurde geschlossen, danach verschwendete der Inder nicht viel Zeit, den schwarzen König zu attackieren. Beutel musste sich in der schwierigen Lage völlig auf dem Rechner verlassen, um nicht im Angriff überrollt zu werden. "Man richtet sich doch sehr stark nach dem Computer", resümierte er - doch es half wenig.

Auch im zweiten Wettkampf siegte menschliche Routine über rechenstarke Computerintelligenz. "Der Computer war keine große Hilfe. Die Zeit war einfach zu kurz um die Engine optimal nutzen zu können", befand Fernschachspieler Freise hinterher. Der Professor war allerdings überhaupt nicht enttäuscht über die knappe 0:5,1;5-Niederlage "Ich bin sehr zufrieden mit dem Remis", sagte Freise lächelnd und zitierte Kommentator Matthias Wahls, "es war ein Sieg des kleinen Mannes." Peter Swidler hatte einige Partien des Jauch-Millionärs studiert, darunter den letztjährigen Simultansieg des Münsteraners gegen Anand. Seine Bilanz war objektiv: "Das Match war sehr schwierig für den Professor. Die Zeit war eigentlich zu knapp, um die Maschine optimal zu nutzen. Es macht ja keinen Sinn, nur die Züge des Computers auszuführen. Ich hatte das Gefühl, dass der Computer bei der Analyse sogar etwas gestört hat." Auf die Frage, ob Swidler das Programm Junior bei der täglichen Arbeit verwendet, antwortete der frisch gebackene Vater von Zwillingen: "In der Regel verwende ich Fritz, aber ich weiß, dass auch Junior ein sehr starkes Programm ist."

Die enormen Elo-Unterschiede konnten die Amateure mit Computerunterstützung also nicht kompensieren, dafür war die Bedenkzeit (25 Minuten + 10 Sekunden pro Zug) einfach zu knapp. Vielleicht wird in Zukunft ein zusätzliches Zeithandicap für die Profis notwendig sein, um ein besseres Gleichgewicht der Kräfte zu gewährleisten. Frederic Friedel von der Firma ChessBase war sehr zufrieden mit dem Resultat: "Für das Publikum wird es zweifellos interessant sein, zusätzliche Handicaps einzubauen: Man könnte beispielsweise einen Spitzenspieler Simultan spielen lassen, um die Chancen der Amateure zu vergrößern. Allerdings ist das wissenschaftliche Experiment dann nicht mehr so wertvoll. Ich vermute, dass Anand mit einem Notebook ab etwa 500 MHz ein Rating von über 3000 hat. Jens Beutel, den ich sehr schätze, erreicht mit Fritz vielleicht eine Wertungszahl von etwa 2700-2750. Ich fand es phantastisch, dass Peter Swidler ohne Angst gegen Freise angetreten ist. Er hat in beiden Partien großartig gespielt. Es war nicht ganz klar, ob Freise das Computerprogramm Junior optimal eingesetzt hat. Vielleicht schwächte Junior das Spiel des Amateurs sogar etwas. Diese Wettkämpfe haben deutlich gezeigt, dass es nicht so einfach ist, Spielstärke mit Computerunterstützung eines starken Programms zu kompensieren. Starke Spieler, die hervorragend mit Computer arbeiten können wie John Nunn und Vishy Anand, werden in einem Advanced-Chess-Turnier die Nase vorn haben." Warten wir also ab, ob uns Hans-Walter Schmitt und seine Chess Classic Mainz nächstes Jahr neue Erkenntnisse liefern werden.

 

Die Marathonfrau
Vize-Weltmeisterin Alexandra Kostenjuk hält Männer fünfeinhalb Stunden in Schach
Von Harald Fietz

Mangelnde Ausdauer kann man der Grazie aus Moskau nicht unterstellen. Obwohl Vizeweltmeisterin Alexandra Kostenjuk im Gegensatz zu den männlichen Topstars nur 25 statt 40 Bretter in ihrem Simultan zu bewältigen hatte, stellte sie einen absoluten Rekord im Zeitverbrauch auf. Nach exakt fünfeinhalb Stunden reichte der letzte Mann die Hand zum Zeichen der Aufgabe. Keiner hatte jemals so viel Stehvermögen zeigen müssen. Kramnik benötigte vor sechs Jahren einmal fünf Stunden und fünf Minuten für seine 40 Gegenüber.

Mit Respekt, aber auch einem gehörigen Maß an Neugier erwartete man den zweiten Deutschland-Auftritt der medienpräsenten 18-Jährigen nach Dresden 1999. Erst am frühen Nachmittag traf sie mit ihren Manager Diego F. Garces aus London ein. Am Vortag hatte sie dort das britische Talent David Howell mit 3,5:0:5 im Schnellschach auf einem Großfigurenbrett in die Schranken verwiesen. In Mainz formierte sich aber härterer Widerstand. Neun der 25 Teilnehmer wiesen eine stattliche Wertungszahl von über 2000 DWZ auf - ein Kasparow verbietet sich mehr als fünf solcher Teilnehmer!

Neben den Vereinsspielern suchten auch einige Prominente die Herausforderung mit der ganz in schwarz gekleideten Globetrotterin. Bauchfrei - im sommerlichen Top - wandelte die dunkelhaarige Alexandra gemäßigten Schrittes von Brett zu Brett. Der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel und WDR-Kommentator Claus Spahn gaben sich redlich Mühe, davon nicht abgelenkt zu werden. Der Fernsehmann erhielt jedoch auf sein unbotmäßiges Remisangebot nach zehn Zügen ein trockenes "Njet" entgegengeschleudert. Hier kamen fortan die Züge blitzschnell auf das Brett - Majestätsbeleidigung ist eben nicht erlaubt. Schon nach 20 Zügen lag die Stellung als erste in Trümmern; noch schnell ein Autogramm und dann brachte auch das Kiebitzen am Nachbarbrett keine Ablenkung mehr.

Hier erregte das Spiel des schachbegeisterten Stadtoberhaupts die meiste Aufmerksamkeit und die Fotografen vollbrachten etliche Verrenkungen, um einen pfiffigen Schnappschuss für die Nachwelt auf Film zu bannen. Anders als der Gelegenheitsspieler Spahn vertreibt sich Beutel öfter im Kreise der lokalen Schachgrößen die Zeit. Gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt, widmet er seine letzte freie Woche ganz dem königlichen Spiel. Neben dem Simultanauftritt hat er seinen Einsatz im Handicap-Wettbewerb mit Computerunterstützung gegen Viswanathan Anand zugesagt. Heuer galt es, aus einer gedrückten Stellung Gegenspiel zu suchen. Mit einem kombinatorischen Figurentausch im 26. Zug rückte das Dauerschach in Reichweite. Fünf Züge später war die Punkteteilung unter Dach und Fach.

Sechs Männer wollten mehr. Sie errangen den vollen Punkt. Der jüngste Sieger, der 12-jährige Daniel Körnlein, war besonders stolz auf seinen Erfolg: "Das ist ein ziemlich schönes Gefühl. Zuvor habe ich bereits 1997 gegen Wesselin Topalow ein Remis erreicht. Aber gegen Judit Polgar, Garri Kasparow und Wladimir Kramnik verlor ich." Seine Spielfreude will er auch beim Chess960 austoben: "Diese Spielart finde ich gut, Eröffnung ist ohnehin nicht meine Stärke."

Erst fünf Partien waren nach vier Stunden vorüber. Nach und nach reihten sich die Ergebnisse in die Tabelle ein, als beim Eröffnungsempfang bereits der Nachtisch verspeist wurde. Auf die Siegerlisten gelangten noch Bernhard Nagel vom SV Wiesbaden (Elo 2233), Paul Oberweis vom SK Schweich (DWZ 1999), Ahmed Siar Wahedi vom SC Steinbach (Elo 2142), Joachim Diaz vom SV Griesheim (Elo 2165) und Frank Müßig vom SF Heimersheim (DWZ 1908). Den halben Punkte erkämpften außerdem Werner Diehl vom SC Weiterstadt (Elo 2176) und Wolfgang Hettler (DWZ 1945).

Die Erschöpfung stand danach allen Schachfans ins Gesicht geschrieben. Die Marathonfrau wollte nur noch ins Bett - ein Nachtmenü mit reichlich Fleisch ließ sie sich zur Stärkung auf das Zimmer bringen. Am nächsten Tag hieß es erst mal ausschlafen.

 

"Ein ganz cooler Hund"
Ponomarjow von seinem Simultan geschlaucht

Da behaupte noch einer, Schach habe nichts mit Sport zu tun: Die deutsche Großmeisterin Elisabeth Pähtz musste sich ganz schön ins Zeug legen, um zu den Chess Classic nach Mainz zu kommen. Die Spitzenspielerin des deutschen Meisters Dresden ließ sich aber auch durch die Flutkatastrophe nicht aufhalten. "Mir stand am Sport-Gymnasium das Wasser bis zur Hüfte. Meine Lehrer wollten mich nach dem Unterricht am Mittwochmorgen nicht gehen lassen. Doch ich scherte mich nicht darum und sagte ihnen, ich sei eine gute Schwimmerin. Anschließend watete ich auf mein Zimmer und holte meine Klamotten. So viel Sport wie an diesem Tag habe ich noch nie gemacht", berichtete die abgekämpfte WM-Achtelfinalistin. Weil auch kein direkter Zug mehr von Dresden in den Westen fuhr, ersann die schlaue Schachspielerin eine andere Variante, um ans Ziel zu kommen: Über den Umweg Polen und Berlin gen Mainz traf die 17-Jährige mit einstündiger Verspätung bei der Pressekonferenz ein. Ihren Humor hatte Pähtz dennoch nicht verloren. Claus Spahn, verantwortlicher WDR-Fernsehredakteur für die alljährliche Schachsendung, erkundigte sich nach ihrer Vorbereitung. Er habe einmal verfolgt, wie Garri Kasparow im Schnelldurchlauf 400 Partien von Kontrahent Robert Hübner seziert habe. "Ich stellte fest, dass er seinen Turm immer auf c6 hat", teilte der damalige Weltmeister sein Ergebnis mit. "Haben Sie auch die Partien von Alexandra Kostenjuk angeschaut?", begehrte Spahn Auskunft. "Ja, habe ich - aber auf c6 habe ich nichts festgestellt ...", ließ Pähtz wissen.

Auch Weltmeister Ruslan Ponomarjow stöhnte trotz täglichen Schwimm- und Lauftrainings über die Unbilden seines Sports. "Puh, das war ganz schön anstrengend", äußerte der Ukrainer nach 4:20 Stunden, in denen er in einer Art Rundlauf die Bretter von 40 Gegnern abklapperte. 30 Mal siegte der 18-Jährige am Mittwochabend, acht Remis gab der Großmeister aus dem Donetzk-Becken ab und verlor zwei Duelle. "Was für ein Glück, dass ich vor dem Match gegen Viswanathan Anand noch einen Tag Ruhepause habe. Ansonsten hätte es der weltbeste Schnellschachspieler leicht", befand der erschöpfte Ponomarjow vor dem Duell über acht Partien von Freitag bis Sonntag.

Im Simultan setzte ihm der vereinslose Christoph Driftmann besonders zu. Am Schluss nahm der Großmeister aus Kramatorsk auf einem Stuhl Platz, um im Endspiel Dame plus Springer gegen Dame und Bauer noch auf Gewinn zu spielen. "Das war ganz große Klasse, dass er mir gegenüber saß. Da steht man unter Strom. Das war wie eins gegen eins!", freute sich Driftmann. Den Amateur plagte jedoch auch die Furcht, dass "ich die Partie noch verliere". Obwohl er mehr auf Ponomarjows "Großzügigkeit hoffte", das Endspiel gleich Remis zu machen, fand er den Weltmeister "sehr sympathisch". Sein Ziel verwirklichte Driftmann am Ende durch einen hübschen Schlusszug, der ein Patt erzwang. Außer ihm durften sich zudem Igor Petri (vereinslos), Hans Mokry, Mike Rosa und Bergit Brendel (alle SC Frankfurt-West) - Letzterer gelang der erste Achtungserfolg des Simultans - und Bert Hollmann über ein Unentschieden. Der Herforder sorgt mit seinem Kompagnon von Schach.com, Axel Fritz dafür, dass die Chesstigers-Webseite auf dem aktuellen Stand bleibt.

Remis schafften überdies Thorsten Overbeck und Aaron Knickel. Beide hatten wie Max Weber und Hendrik Schaffer Freiplätze von ihrem Klub SF Neuberg geschenkt bekommen. Durfte Overbeck dieses Resultat mit 1995 DWZ und Elo 2160 durchaus zugetraut werden, überraschte Knickels Unentschieden. Er ist erst elf Jahre alt und steht bei 1558 DWZ. Der zweitjüngste Teilnehmer im Weltmeister-Simultan - die Wormserin Anna Endress zählt erst neun Lenze - hätte sogar gewinnen können. "Ich hatte zwei Mehrbauern, doch dachte ich, Ponomarjow habe ein Dauerschach. Ein Irrtum, weshalb ich ins Remis einwilligte", erläuterte Aaron Knickel. Zufrieden waren er und der 18-jährige Overbeck, der auch besser stand, letztlich trotzdem.

Einen glücklichen Sieg feierte gar Horst Eidam. Der 65-Jährige wähnte sich verloren. Um einen Freibauern durchzudrücken, agierte sein Kontrahent indes zu sorglos und stellte einen Turm ein. "Was sollte ich machen? Ihn den Zug zurücknehmen lassen? Das hätte ich auch nicht gedurft. Ich habe ihn deshalb genommen, auch wenn mein Sieg unverdient war. Morgen fragt keiner mehr, wie ich den Weltmeister geschlagen habe. Gewonnen ist gewonnen", erklärte der Eigentümer einer Fahrschule seine pragmatische Sicht der Dinge. Im Vorjahr verbuchte Eidam (1866 DWZ) ein "richtiges Remis" gegen Wladimir Kramnik. Der Einstein-Weltmeister habe dabei "vorsichtiger agiert. Ponomarjow spielte aggressiver, voll auf Sieg". Die "Turmeinsteller"-Niederlage ärgerte den zweiten Sieger des Abends, Jürgen Kleinert, schmälerte sie doch seinen Ruhm. Der Stammgast bei den Chess Classic, der wie Hollmann für KS Herford ans Brett geht, stand zwischenzeitlich kritisch, setzte sich dann aber dank zweier Freibauern durch.

Auf einen Erfolg wie 2001 gegen Anand hatte Eckhard Freise spekuliert. "Ich gewann nach einem Eröffnungsfehler von Ponomarjow die Qualität. Ich spielte dann aber zu scharf weiter", tadelte sich der erste Gewinner einer Million Mark bei Jauchs Quizshow selbst. Ihm habe allerdings auch "imponiert", wie schnell Ponomarjow seine Runden drehte und "keine Endspiele anstrebte, sondern taktisch zum Erfolg kommen wollte. Das ist mit Sicherheit ein ganz cooler Hund. Anand muss sich warm anziehen", empfahl der wortgewaltige Wuppertaler Geschichts-Professor dem indischen Titelverteidiger.

Mit 85 Prozent der Punkte ging Ponomarjows Taktik nicht auf. "Ich hoffte, dass alle e5 entgegnen und anschließend gleich fortsetzen - dann hätte ich nur eine Partie zu spielen brauchen", scherzte der Weltmeister, der alle 40 Begegnungen mit dem Königsbauern eröffnet hatte! Eine Seltenheit, wechseln die Simultan-Geber doch für gewöhnlich mit 1.c4, d4, e4 und Sf3 ab. Seine 34/40 bedeuten nur Rang elf in den bisherigen 13 Simultans an 40 Brettern bei den Chess Classic. Spitzenreiter in dieser Liste bleibt Viswanathan Anand, der anno 1994 mit +36 =4 -0 in Rekordzeit von 3:02 Stunden das Topresultat von 95 Prozent erzielte. Dass langes Nachdenken mehr die Gegner als die Großmeister bevorteilt, musste Wladimir Kramnik erkennen, der 1995 nach 5:05 Stunden das schlechteste Ergebnis mit 77,5 Prozent (+24 =14 -2) aufwies.

Fix und fertig war gar Vizeweltmeisterin Alexandra Kostenjuk, obwohl die schöne Russin "nur" gegen 25 Kontrahenten antrat. Der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel knöpfte ihr eines von drei Remis ab. Zu ihren sechs Bezwingern zählte der talentierte zwölfjährige Daniel Körnlein vom SC Frankfurt-West. Fünfeinhalb Stunden lang dauerte Kostenjuks Tortur. Nach dem Langstreckenlauf von einem Brett zum nächsten schlich sie kommentarlos ins Bett. Wie ihre Widersacherin im "Duell der Grazien", Elisabeth Pähtz, hatte sie für heute genug Sport getrieben.

 

"Ich will erfolgreicher als Anna Kurnikowa sein"
Interview mit Vizeweltmeisterin Alexandra Kostenjuk /
"Duell der Grazien" in Mainz gegen Erzrivalin Elisabeth Pähtz

Alexandra Kostenjuk verzückt mehr Fans als die weltbesten Schachspieler. Das liegt weniger an den starken Zügen, die der 18-jährigen Moskowiterin im Dezember in ihrer Heimatstadt immerhin zur Vizeweltmeisterschaft verhalfen. Die Großmeisterin, die bereits mit 14 den höchsten Frauen-Titel errang, rückte durch freizügige Fotos auf der Webseite des Weltverbandes FIDE als Schach-Lolita in den Mittelpunkt. Der Kosmetik-Riese L'Oreal sicherte sich inzwischen die Dienste der "Anna Kurnikowa des Schachs". Alexandra Kostenjuk spielt vom 15. bis 18. August bei den Chess Classic Mainz. Nach einem Simultan an 25 Brettern trifft die Russin in der Rheingoldhalle im "Duell der Grazien" auf ihre Erfurter Dauerrivalin Elisabeth Pähtz (17). Gleichzeitig tragen auch FIDE-Weltmeister Ruslan Ponomarjow (Ukraine) und sein Vorgänger Viswanathan Anand - der Inder ist als weltbester Schnellschachspieler Titelverteidiger in Mainz - ein Match über acht Partien aus. Mit Alexandra Kostenjuk sprach Hartmut Metz.

Frage: Zahllose Gazetten nennen Sie die "Anna Kurnikowa des Schachs". Nervt Sie inzwischen dieser ständige Vergleich?
Alexandra Kostenjuk: Nein, das macht mir nichts. Die Magazine können mich heißen, wie sie wollen. Im Prinzip ist es ein interessanter Vergleich.

Frage: Welchen Hauptunterschied zwischen sich und der ebenfalls aus Russland stammenden Tennis-Schönheit sehen Sie?
Kostenjuk: Ich hoffe, dass ich in meiner Karriere erfolgreicher sein werde als sie.

Frage: Kurnikowa gilt als Zicke, die nach Niederlagen nur freundlich ist, wenn Kameras laufen. Sie lachen häufiger.
Kostenjuk: Natürlich. Ich stehe allen Leuten offen gegenüber. Ich habe keinen Grund, rüde mit anderen Menschen umzuspringen. Ich mag es außerdem, mich mit Leuten aus anderen Ländern zu unterhalten.

Frage: Welche Schachspieler und -spielerinnen finden Sie besonders attraktiv?
Kostenjuk: Da spricht mich niemand besonders an, weder bei den Herren noch den Damen.

Frage: Wer kam auf die Idee, die Fotos zu schießen, die Sie über die FIDE-Webseite berühmt machten?
Kostenjuk: Das war die Idee der FIDE-Commerce. Die Vermarktungsgesellschaft wollte eine FIDE-Schach-Kollektion herausbringen. Die FIDE-Commerce lud mich ein, als Model die Kleidung zu präsentieren.

Frage: Die FIDE-Kollektion ist im Gegensatz zu Ihnen nicht bekannt geworden. Sie mögen diese Fotos, die Sie bei einigen wenigen freizügig als Schach-Lolita präsentieren, noch immer?
Kostenjuk: Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen. Ich war während des Foto-Shootings 17. Die meisten Bilder sind puristisch auf Schach bezogen und recht künstlerisch. Zudem schätze ich die Fotos, weil sie eine andere Seite von mir zeigen.

Frage: Auf Grund dieser wurden Sie auf der Webseite des Software-Herstellers ChessBase zum "Spieler des Jahres" gewählt. Natürlich ist der Gewinn der Vizeweltmeisterschaft bei den Damen ein Erfolg, hätte jedoch der weniger attraktive Weltranglistenerste Garri Kasparow, der Zweiter wurde, diese Auszeichnung nicht mehr verdient?
Kostenjuk: Diese Frage sollten Sie den vielen Leuten stellen, die abstimmten! Meist fließen doch zahlreiche Faktoren in solche Wahlen ein - und ich kann nichts Negatives daran finden. Auf jeden Fall freut es mich gewaltig, so viele Fans zu haben.

Frage: Wechseln wir das Thema und reden über Schnellschach. Im spanischen Manises unterlagen Sie im Finale Schach-Legende Anatoli Karpow zwar mit 1:3, konnten ihn jedoch auch in einer Partie schlagen. Ihr bisher größter Erfolg?
Kostenjuk: Natürlich war ich glücklich, Karpow in einer Partie bezwungen zu haben - aber letztlich verlor ich das Match mit 1:3. Das will ich bei nächster Gelegenheit besser machen. Ich versuche mein Spiel ständig zu verbessern. Gelingt mir das, wird der Rest wie Titel und gute Resultate folgen.

Frage: Bei den Chess Classic Mainz fordert Sie WM-Achtelfinalistin Elisabeth Pähtz heraus. Bisher liegt die ein Jahr jüngere Erfurterin nach zahlreichen gemeinsamen Jugend-Meisterschaften in der direkten Bilanz mit 3,5:2,5 in Front. Schlagen Sie die Spitzenspielerin des deutschen Meisters Dresden trotzdem?
Kostenjuk: Elisabeth Pähtz ist eine talentierte Schachspielerin. Ich bin mir sicher, dass das "Duell der Grazien" sehr interessant wird. Eine Prognose will ich keine abgeben, das mag ich nicht. Was ich aber versprechen kann, ist, dass ich mein Bestes geben werde, um sie zu schlagen!

Frage: Elisabeth Pähtz meinte, die Rivalität zwischen Ihnen beiden wäre vor allem eine Rivalität der äter.
Kostenjuk: Klar, unsere Väter wollten das Beste für uns und opferten entsprechend alles, um uns zu dem zu machen, was wir heute sind. Ob noch mehr daraus wird, liegt jetzt an uns.

Frage: Sie preisen Ihren Vater für all seine Anstrengungen und Schach-Lektionen, die er Ihnen zuteil werden ließ. Der Vater von Elisabeth, Thomas Pähtz, ist selbst Großmeister. Ein Vorteil für die Konkurrentin?
Kostenjuk: Diese Frage kann ich nicht beantworten.

Frage: Sie schreiben gerne Gedichte. Mit welchen Themen befassen Sie sich in diesen bevorzugt?
Kostenjuk: Die über Gefühle schreibe ich am liebsten. Meine eigenen Lieblingsgedichte finden sich sowohl auf meiner Webseite www.kosteniuk.com als auch in meinem Buch "How I became Grandmaster at age 14".

Frage: Außer Denksport mögen Sie auch noch anderen?
Kostenjuk: Ich mag jede Art von Sport, besonders Fußball, Laufen, Schwimmen, Ski fahren, Rad fahren und Roller-Skating.

Frage: Ihr Kommentar zur Fußball-WM?
Kostenjuk: Das miserable Abschneiden des russischen Teams war mehr als enttäuschend. Ich hoffe, dass es bei der nächsten Weltmeisterschaft in Deutschland besser spielt.

Frage: Elisabeth Pähtz zählt anscheinend zu denen, die Sie für nicht hübscher als andere Großmeisterinnen halten. Sie lästerte, jede sehe mit etwas Make-up gut aus.
Kostenjuk: Offensichtlich kann ich nicht beipflichten. Aber ich bin mir sicher, sie findet volle Zustimmung bei Kosmetik-Hersteller L'Oreal, der daran gewiss Gefallen hat, wenn jeder exakt das glaubt!

Frage: Das heißt, der Weltkonzern offerierte Ihnen einen Vertrag? Für welche Produkte sollen Sie werben? Und steht diese Werbung auch im Zusammenhang mit Schach?
Kostenjuk: Leider kann ich zu Vertragsangelegenheiten nichts sagen. Ich bitte um Ihr Verständnis.

Frage: Schade. Elisabeth Pähtz will vor dem "Duell der Grazien" am 16. August unbedingt zum Friseur gehen. Wie sieht Ihre Vorbereitung aus?
Kostenjuk: Ich werde mich aufs Schach konzentrieren. Alles andere wird wie üblich sein.

 

"Ohne Lachen ist das Leben kein Leben"
Weltmeister Ruslan Ponomarjow lässt sich nicht durch Kasparows und ljumschinows Ränkespiele verdrießen

Ruslan Ponomarjow ist wie sein Gegner bei den Chess Classic Mainz, Viswanathan Anand, eigentlich zu nett, um lange Schach-Weltmeister zu bleiben. Oder sollte man einen 18-Jährigen der Blauäugigkeit zichtigen? Nur weil der Ukrainer nicht wie die lange auf dem Thron sitzenden Champions Gefallen an Herabwürdigungen der Gegner besitzt? Ende des 19. Jahrhunderts ergötzten sich Weltmeister wie Wilhelm Steinitz daran, Schlammschlachten in eigenen Schachzeitungen zu veranstalten. Heutzutage nutzt Garri Kasparow die eigene Webseite geringfügig subtiler, um seine Ansichten unters Volk zu streuen.

Das waren anfangs keine guten über Ruslan Ponomarjow. Mit Hohn und Spott übergoss ihn der 13. Weltmeister, als ihn der 18-Jährige im Januar als jüngster Champion der Schach-Geschichte ablöste. Der blieb wie immer ruhig - und ließ ein paar Wochen später den Russen im spanischen Linares wortlos stehen, als dieser mit dem jungen Burschen aus Kramatorsk die beendete Remispartie analysieren wollte. Mit Platz zwei im "Wimbledon des Schachs" hinter dem Weltranglistenersten verdiente er sich weiteren Respekt Kasparows. Der revidierte sogar seine Meinung - was bei Gott wirklich selten vorkommt -, plauderte angeregt bei der Abschlusszeremonie mit "Pono" und nannte diesen einen prima Kerl und Spieler.

Solcherlei Respekt bringt der mit 14 Jahren und 17 Tagen einst jüngste Großmeister aller Zeiten seinen Kontrahenten seit jeher entgegen. Der Weltranglistensechste hält Kasparow für den "Mike Tyson des Schachs": Zwar kein Weltmeister mehr, aber jedes Duell mit ihm sei eine "besondere Ehre". Den im WM-Finale unterlegenen Landsmann Wassili Iwantschuk, mit dem er Mannschafts-Weltmeister wurde, nennt Ponomarjow ebenso wie Anand ehrfürchtig "Superstars". Gegen seinen indischen Vorgänger darf er nun von Freitag bis Sonntag (jeweils ab 18.30 Uhr) in der Mainzer Rheingoldhalle antreten. In den acht Partien gegen den weltbesten Schnellschachspieler räumten die Experten dem Ukrainer, der im Frühjahr beim Weltcup in Dubai gleich in Runde eins sensationell gegen Weltmeisterin Zhu Chen rausflog, kaum Chancen ein. Das weckt allerdings nur den Ehrgeiz des schmalbrüstigen Jünglings, der während der nervenzehrenden WM von 53 Kilogramm auf unter einen Zentner abmagerte. "Ich habe mich extrem lange auf das Match vorbereitet", deutet der Hänfling an, dass er in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt dem "Tiger von Madras" die Krallen ziehen will - obwohl er Anand für den "Stärksten in dieser Disziplin" hält. "Er hat alles gewonnen: Prag, die Chess Classic, dabei schlug er auch Kasparow", rekapituliert Ponomarjow die Schnellschach-Erfolge seines Kontrahenten so problemlos, als hätten sie sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt.

Anand freut sich auf das "Duell der Weltmeister". "Gegen die anderen habe ich schon 50 Mal gespielt. Da ist es spannend, mal wieder gegen ein frisches Gesicht anzutreten und Neues zu entdecken", findet der Weltranglistendritte. Als Turniersenior fühlt sich der älteste der vier Stars bei den Chess Classic - die Teilnehmerinnen im "Duell der Grazien", Alexandra Kostenjuk (18) und Elisabeth Pähtz (17) sind auch rund eineinhalb Jahrzehnte jünger - fühlt sich die bei Madrid lebende Koryphäe aber noch nicht. "Das Durchschnittsalter bei den Chess Classic sank im Vergleich zu den Vorjahren dramatisch - aber 32 Jahre reicht noch nicht, um sich alt zu fühlen. Am Brett spielt außerdem das Alter keine Rolle", bemerkte Anand. Der Titelverteidiger sieht auch keinen Anlass, Ponomarjow zu unterschätzen. "Es klingt blöd, wenn man über den Weltmeister sagt, er sei ein Supertalent", findet der Favorit im Weltmeister-Match.

Organisator Hans-Walter Schmitt lässt sich bei den Topspielern, die alle gerne zu den Chess Classic nach Mainz kommen, nicht lumpen. Doch dem schnöden Mammon zieht Ponomarjow die geistige Herausforderung auf den 64 Feldern vor. "Mir ist es egal, wie viel Geld im Spiel ist." Nur gewundert hat er sich, als nach dem WM-Gewinn lediglich etwa ein Fünftel der halben Million Euro für seine Familie übrig blieb. Einen Großteil fraßen teure Trainer und Sekundanten sowie Steuern. Ganz zu schweigen von den vielen Bettelbriefen und Anrufen, die plötzlich zu Hause eingingen. "Es war ein wahres Irrenhaus!", erinnert sich der Großmeister an die "unerträgliche" Zeit zurück.

Der Fitness-Apostel, der viel schwimmt und Gymnastik treibt, wird häufig mit Anatoli Karpow verglichen. Von der Statur wie dem Spielstil ähnelt Ponomarjow der lebenden Legende aus Moskau. Wie der 51-Jährige ist der Schützling von Dimitri Komarow, der zusammen mit dem moldawischen Weltklassespieler Viktor Bologan Ponomarjow trainiert, ein zäher Verteidiger. Springt ein Kasparow die Gegner wie eine Raubkatze an, erinnert das Vorgehen von Ponomarjow wie Karpow an eine Würgeschlange, die das Opfer langsam erdrückt. Größter Unterschied zwischen den beiden, die 1999 vor Karpows Zweikampf gegen Jeroen Piket ein Trainingslager absolvierten, ist wohl ihr Humor: "Ohne Spaß und Lachen ist das Leben doch kein Leben", erläutert Ponomarjow, warum er gerne scherzt. Mit seinen witzigen Anmerkungen nahm er gleich bei der ersten Pressekonferenz die Zuhörer für sich ein.

Dafür mangelt es dem Ukrainer in der Schachpolitik an Karpows Beharrungsvermögen, der mit den Jahren durch geschicktes Taktieren Millionen scheffelte. Als im April in Prag die Wiedervereinigung der Titel mit Konkurrenz-Weltmeister Wladimir Kramnik beschlossen wurde, blieb der 18-Jährige den Ränkespielen fern. "So witzig es klingen mag: Ich habe mich im Internet darüber informiert", bekennt der offizielle Champion des Weltverbandes FIDE und wundert sich, dass Präsident Kirsan Iljumschinow keine Absprachen mit seinem regulären Champion trifft. Die früheren Erzfeinde Iljumschinow und Kasparow sägen bereits in einer unheiligen Allianz an seinem und Kramniks Stuhl. Das ist Ponomarjow endgültig klar geworden, als ihm nur 30.000 Dollar für ein Computer-Match angeboten wurden - und anschließend Kasparow und Iljumschinow in Israel einen Zweikampf ab 1. Oktober um eine Million Dollar gegen Deep Junior 7 verkündeten. Ob und wann er gegen Kasparow Teil eins der Titelvereinigung einzuleiten hat, teilte ihm bis dato auch keiner von der FIDE mit. Bei der richtigen Antwort auf all diese Affronts denkt Ponomarjow gerne an das Ende des Boxkampfs zwischen Schachfan Lennox Lewis und Mike Tyson. Der 18-Jährige sieht sich gegen den Weltranglistenersten keinesfalls als Bauernopfer. "Bei der WM dachte auch jeder, ich sei chancenlos. Ich werde die richtige Antwort am Brett geben."

 

Jauch-Millionär Freise gegen spekulativen Weltmeister
Mainzer Oberbürgermeister Beutel erwehrt sich des "Tigers von Madras" mit einem schnelleren PC

Von Eric van Reem

Computer haben bei den Chess Classic immer eine große Rolle gespielt. Die spannenden Vergleiche zwischen Viswanathan Anand und Fritz on Primergy 1998 und 1999 waren für die Schachfans ein besonderer Leckerbissen. Der stärkste Computer-Spieler der Welt gewann beide Duelle überzeugend. Im Masters Turnier 1999 siegte Fritz allerdings vor Weltklasse-Spielern wie Judit Polgar, Peter Swidler, Michael Adams und Peter Leko. Unvergessen sind die spannenden Begegnungen im Jahre 2000, als Fritz gegen die Weltspitze antrat und ihm dabei sogar ein Sieg gegen den vermeintlich unbesiegbaren Anand gelang. Das Duell Mensch-Maschine endete 5:5, wobei der Sieg Alexej Schirows mit einem doppelten Qualitätsopfer den Höhepunkt der Veranstaltung bildete. Im Vorjahr war Fritzchens kleiner Bruder Pocket Fritz mit einem Kind von Shredder-Programmierer Stefan Meyer-Kahlen noch etwas zu schmalbrüstig für die Elo-Giganten Peter Leko und Michael Adams. Das Programm, das für Taschen-PCs entwickelt wurde, verlor 0:5:3,5.

Am 15. August (18.30 Uhr) spielen die Menschen in der Mainzer Rheingoldhalle allerdings nicht mehr gegen den Computer, sondern mit dem Computer. Es werden zwei besondere Handicap-Matches ausgetragen: Der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel (Deutsche Wertungszahl 2075) wird mit einem PC ausgestattet, der einen 2200-getakteten-Prozessor und 512 MB Speicher besitzt. Beutels Kontrahent, Ex-Weltmeister Anand, muss sich mit einem langsameren Notebook mit maximal 733 MHz und 128 MB Speicher begnügen. Beide Spieler dürfen während der Partie das weltweit bekannteste Schachprogramm, Fritz 7, einsetzen, das die schwedische Computer-Weltrangliste anführt. Im zweiten Vergleich trifft der russische Großmeister Peter Swidler (Weltranglisten-14. mit 2690 Elo) komplett ohne Computer-Unterstützung auf Prof. Eckhard Freise (Elo 2018). Der erste Gewinner einer Million Mark bei der Jauch-Quiz-Show "Wer wird Millionär" bewaffnet sich mit einem 733 MHz Notebook (128 RAM). Der versierte Amateur aus Münster darf das Weltmeister-Programm Junior 7 zu Rate ziehen. Gespielt werden in beiden Wettkämpfen zwei Partien mit 25 Minuten Bedenkzeit je Spieler, dazu gesellen sich zehn Sekunden pro Zug. Das israelische Programm Junior, das wie Fritz von dem in der Schach-Software führenden Hamburger Unternehmen ChessBase vertrieben wird, wurde von Amir Ban und Shay Buschinski entwickelt. Im Juli wurde das spektakulär spielende Programm bei der WM in Maastricht zehnter Computer-Weltmeister aller Klassen. Junior fiel besonders durch seine aggressive, manchmal sogar spekulative Spielweise auf.

Diese modernen Handicap-Duelle sind eine Fortsetzung der fast vergessenen Wettkampfform der Vorgabepartien. Es macht Spaß, Schach zu spielen, insbesondere gegen die Größen dieses Fachs - nur verlieren möchte keiner. Zu allen Zeiten wurde deshalb nach einem Ausgleichsfaktor gesucht, um annähernde Chancengleichheit zu gewähren. Bei den Chess Classic Mainz ist dies beispielsweise am 14. August in den Simultan-Vorstellungen des neuen Weltmeisters Ruslan Ponomarjow (Ukraine/ab 16 Uhr) und "Grazie" Alexandra Kostenjuk (Russland/17 Uhr) der Fall. Beide Spitzenspieler können nur einen Bruchteil der Bedenkzeit nutzen, die ihren Gegnern zur Verfügung steht. Der deutsche Großmeister Robert Hübner fand noch eine andere, schwierigere Alternative: Er spielte am 25. September 1999 ein Blind-Simultan an acht Brettern gegen den Schachclub Kreuzberg, der es mit einem Elo-Durchschnitt von 2297 auf Meisterstärke brachte. Hübner gewann trotzdem 6,5:1,5 und verlor keine einzige Partie!

Im 19. Jahrhundert war es üblich, sogar in Wettkämpfen mit ungleichem Material zu spielen. Das berühmteste Beispiel dürfte das 1836 in Paris ausgetragene Match des Ungarn Josef Szén gegen den Franzosen Louis Charles Mahé de la Bourdonnais sein. Letzterer, zu diesem Zeitpunkt der beste Spieler der Welt, gab einen Bauern vor und außerdem noch einen Zug: Szén durfte folglich als Weißer zu Spielbeginn zwei Züge hintereinander machen und als Schwarzer die Partie eröffnen. Mit diesem großen Vorteil ausgestattet, konnte Szén das Duell mit 13:12 denkbar knapp für sich entscheiden. Gerade dieses Match galt jahrzehntelang als der Beweis, dass eine solche Vorgabe die Chancen zwischen einem starken Meister und einem guten Amateur fast genau ausgleicht. 2001 kam es zu einem Schaukampf zwischen dem englischen Millionär Terence Chapman (Elo 2200), der vier Vorgabepartien gegen Garri Kasparow, den stärksten Profi unserer Zeit, spielte. Mit 2,5:1,5 setzte sich der Weltranglistenerste, der 30 Minuten Bedenkzeit und stets zwei Bauern vorgab, durch.

Advanced Chess: Symbiose Mensch-Computer

Während des Wettkampfs im Frühjahr 1996 gegen IBM-Großrechner Deep Blue war Kasparow die Idee zu Advanced Chess gekommen. Die Spieler sollten während der Partie mit einem Computer arbeiten dürfen. Zum einen können sie so in Datenbanken nach den besten Eröffnungsvarianten stöbern, zum anderen mit einer Schach-Engine Varianten überprüfen. Ein Jahr später wandte sich Marcelino Sion, Schachveranstalter in der spanischen Provinzhaupstadt Leon, an Kasparow. Er wollte einen spektakulären Wettkampf mit dem damaligen Weltmeister veranstalten. Der Russe, der sich gerade von seiner Niederlage gegen Deep Blue erholte, hatte gleich einen ungewöhnlichen Vorschlag. Statt eines konventionellen Vergleichs könne man doch etwas ganz Neues versuchen: einen Advanced-Chess-Wettkampf, bei der zur Abwechslung Mensch und Maschine zusammen statt gegeneinander spielen. Das erste Advanced-Chess-Match wurde 1997 zwischen Kasparow und dem Bulgaren Weselin Topalow ausgetragen. Es endete 3:3. Ein Jahr später verzichtete Kasparow, nach Differenzen mit dem Veranstalter, auf ein Duell gegen Anand. Statt seiner trat Anatoli Karpow an. Der im Umgang mit Computer unerfahrene Ex-Weltmeister wurde von "Power-User" Anand vernichtend mit 5:1 geschlagen. Bereits als 17-Jähriger machte Anand erste Erfahrungen mit der Schachsoftware von ChessBase. Als die ersten starken PC-Programme auftauchten, war der "Tiger von Madras" derjenige der Spitzen-Großmeister, der sofort deren Analysefähigkeit für die eigene Vorbereitung einsetzte. Heute hat der Weltranglistendritte (Elo 2755) diese Kunst zur höchsten Perfektion gebracht. Anand gewann auch 2000 und 2001 die Advanced Chess Veranstaltungen von Leon. Heuer unterlag der Inder allerdings Wladimir Kramnik knapp mit 2,5:3,5.

Anand gilt trotzdem als der erfahrenste Advanced-Chess-Spieler der Welt. Nur gegen Computer spielt er indes nicht mehr so gerne. Das anstehende Match in Bahrain zwischen Fritz und Kramnik findet der Ex-Weltmeister "so spannend wie den 150. Menschen auf dem Mond". Advanced Chess sei eine ganz andere Geschichte: "Es ist aufregend, zu sehen, wie der Mensch die Stärken von Computern in Zukunft nutzen wird." Besondere Bedeutung misst Anand der Zeiteinteilung bei: "Man muss wissen, wann man dem Rechner Zeit gibt und wann nicht." Kontrahent Jens Beutel hat sich noch keine Taktik zurechtgelegt: "Im Computerschach bin ich ohne nennenswerte Erfahrung. Aber es liegt auf der Hand, dass sichere Eröffnungsvarianten vorzuziehen sind. Insbesondere im Mittelspiel werde ich mich vor allem taktisch auf den Computer verlassen", erklärt der Mainzer Oberbürgermeister und setzt fort, "zum Training komme ich allerdings nicht: noch stehen Amtsgeschäfte an, dann Urlaub ohne PC und anschließend geht es Mitte August sofort hinein in die Chess Classic." Der Computer-Inder betont, es sei wichtig, dass sein Gegner über ein gutes allgemeines Schachwissen verfüge, um die Schachsoftware "sinnvoll einsetzen zu können". Aber kann der schwächere Gegner nicht einfach die Zugvorschläge von Fritz 7 ausführen? Beutel, der im Vorjahr in der Handicap-Disziplin "Simultan" gegen Wladimir Kramnik remisierte, meint: "Es gibt doch häufig gleichwertige Wahlmöglichkeiten, bei denen der Stil des Spielers entscheidend ist." Entsprechend will er das Programm Fritz 7 lenken.

Deutlich schwerer wird es für Peter Swidler sein, gegen die Symbiose aus Freise und Junior 7 zu bestehen. Der 26-jährige Weltklassespieler aus Sankt Petersburg trifft ohne Computer-Unterstützung auf einen Geschichts-Professor, der mit dem stärksten Programm der Welt gerüstet sein wird. Der neue Computer-Weltmeister düpierte erst vor kurzem den belgischen Großmeister Michail Gurewitsch, der fast der Preisklasse Swidlers entspricht, mit 3,5:0,5! Freise hat sich akribisch mit dem Gegner beschäftigt. Gegen den Russen, der bevorzugt mit e4 eröffnet, hofft der Fernschach-Spieler auf den Einsatz des Jänisch-Gambits. Mit dieser zweischneidigen Eröffnung verbindet der Münsteraner gute Erinnerungen. "Obwohl mir Ehefrau Petra Kortschnoi im November 2001 beim Simultan in Berlin mehrfach versicherte, ihr Mann habe sich auf ,seinen Lieblingsprofessor' vorbereitet, half ihm das beim Rittmeister Jänisch nichts!" Der unterhaltsame Plauderer kann sich nicht vorstellen, dass sich Swidler auf einen Hobbyspieler wie ihn vorbereite. Freises Taktik in dem Advanced-Chess-Match steht hingegen schon: "1. Rasches Überbrücken des für mich gefährlichen Theoriehai-Beckens; zu viel Bedenkzeit, die ich hierfür aufwenden müsste, ließe sich im Laufe der Partie wohl kaum aufholen. 2. Möglichst Stellungen anstreben, die mir liegen, also tunlichst unklare, ambivalente Züge mit Perspektiven für beide Seiten. Und das sind nach meinen Erfahrungen mit dem Programm Fritz 5.32 keineswegs solche, die das Programm an erster Stelle empfiehlt. Hier habe ich mich fünf Jahre lang im Fernschach ab und zu mit radikal bedingungslosen ,Computerhörigen' herumschlagen müssen - immer dann, wenn ich mir eigene Ideen gestattete, verfielen diese Gegner in tiefes Grübeln. Meine besten Partien habe ich gegen den Programm-Mainstream gewonnen. Nur ist diesmal Swidler in dieser Situation, gegen einen vermeintlich PC-Fixierten abweichen zu müssen, um das Programm vor undurchsichtige Probleme hinter dem Rechenhorizont zu stellen. Ich kann mich gut in ihn hineinversetzen. 3. So genanntes Anti-Computer-Schach erwarte ich nicht von Swidler. Das ginge doch wohl entschieden gegen den Strich der klassisch russischen Schachtradition. Swidler will doch Schach spielen und nicht nur ein Programm austricksen! Die mit rund einer halben Stunde begrenzte Zeit lässt ein nach allen Seiten durchanalysiertes Mittelspiel ohnehin nicht zu - jedenfalls nicht für einen Spieler meiner Spielstärke. Von den hochklassigen Tiebreaks zwischen Topalow und Barejew in Dortmund habe ich gelernt, dass es unbedingt darauf ankommt, im eigenen Rhythmus zu bleiben, nicht nur in einer angemessenen Zeiteinteilung, sondern auch dem unverwechselbaren Spielstil getreu. Es kommt also schon sehr darauf an, wer am Brett gegenüber sitzt, auch wenn Junior ständig vorsagt." Freise hält wie die erfahrenen Großmeister Helmut Pfleger und Bent Larsen "sehr viel von Psychologie in einer Schachpartie. Robert Hübners Aversionen dagegen sind mir entschieden zu wissenschaftsgläubig".

Da die Vorlesungszeit an der Uni in Wuppertal erst gerade endete, kam Freise nur zu taktischen Überlegungen. "Ernsthaft" trainieren will der Professor die nächsten Wochen. Immerhin weiß er schon jetzt, wie viele Varianten er sich gleichzeitig von Junior 7 anzeigen lässt: "Während meiner Fernschach-Karriere habe ich mir angewöhnt, bei Analysen mehrere, am besten drei Variantenstränge laufen zu lassen und immer wieder in die einzelnen Zugvorschläge hineinzugehen. So hat es Großmeister Rainer Knaak im ChessBase-Magazin einst empfohlen. Hierbei ist mir doch aufgefallen, wie sehr die Bewertung einer Stellung bei Fritz und auch anderen Programmen innerhalb von drei bis vier Zügen schwanken kann. Dergleichen Erfahrungen relativieren eine etwaige Computer-Gläubigkeit doch ganz erheblich!"

 

"Wahrer Allrounder kann Abfahrt und Slalom zugleich"
Ordix Open in Mainz erstmals mit Chess960 kombiniert

Die Liste der Rekorde des Ordix Open ist lang. Das Schnellschachturnier vereint seit acht Jahren Klasse mit Masse. "Beim ersten Turnier, das Frankfurt-West anlässlich seines 70-jährigen Bestehens austrug, spielten 13 Großmeister mit", erinnert sich Hans-Walter Schmitt. Der ehemalige Vorsitzende des Klubs lobte damals 22 Preise unter die 178 Teilnehmer aus. Das Ordix Open wuchs rasch. 2000 verzeichnete Hobby-Statistiker Schmitt 48 Großmeister und Großmeisterinnen im Feld. Schien dies kaum noch zu übertreffen, tummelten sich im Vorjahr dann sogar 484 Teilnehmer in der Rheingoldhalle, darunter 122 Titelträger des Schach-Weltverbandes FIDE! Die besten Zehn brachten es hierbei auf einen Elo-Durchschnitt von 2667. Auch wenn Schmitt heuer vor den Chess Classic Mainz (14. bis 18. August) ungewohnt auf Understatement macht, zeichnet sich erneut ein Topfeld ab.

Den Kampf um die über 70 Preise im Wert von über 30.000 Euro nehmen am 17. (Anmeldeschluss 12 Uhr) und 18. August Asse wie der Weltranglisten-14. Peter Swidler (2690 Elo) und die nicht viel schlechter platzierten Alexej Drejew (2676), Sergej Rublewski (alle Russland/2658), Michal Krasenkow (Polen/2657) und der Armenier Rafael Waganjan auf. "Mr. Bundesliga" von der SG Porz bringt 2667 Elo auf die Waage. Mit den bis zu 7.000 Euro für den Gesamtsieger liebäugeln aber auch Nachwuchsstars wie der Inder Krishnan Sasikiran (2650) und der 15-jährige Andrej Wolokitin, der zu den ukrainischen Newcomern um Ruslan Ponomarjow zählt. Zu den Mitfavoriten, die dafür sorgen, dass die ersten 29 des Ordix Open einen Elo-Durchschnitt von 2600 aufweisen, sind überdies der Moldawier Viktor Bologan, Michail Kobalia, Wladimir Epischin, Artur Jussupow, Alexander Graf, Rustem Dautov, Ex-Europameister Pawel Tregubow und Vadim Milov zu zählen. Der Vorjahreszweite aus der Schweiz trumpft regelmäßig bei den Chess Classic auf. Gleiches gilt für den Wiesbadener Eric Lobron, der wie Großmeister-Kollege Lev Gutman alle acht Open mitspielte. Mit 67,5 beziehungsweise 63 Punkten führt dieses Gespann auch die ewige Bestenliste an. Mit jeweils einer Teilnahme weniger folgen Dautov (59) auf Platz drei, Klaus Bischoff (58) und Raj Tischbierek (54). Beste Amateure unter den bisher 1.291 verschiedenen Teilnehmern sind die Ordix-Dauergäste Albert Bockius (50,5) und Patrick Chandler (50).

"Lajos Portisch und Vlastimil Hort kommen nur wegen des neuen Turniers, um das einzig wahre Schach zu spielen", jubiliert Schmitt. Ausgerechnet die Altmeister - Portisch über Jahrzehnte hinweg WM-Kandidat und Hort zu seinen Glanzzeiten Weltranglistenvierter in den 70ern - sind bereit, alte Zöpfe abzuschneiden und sich Neuem zu öffnen. Vor dem elfrundigen Ordix Open findet erstmals ein offenes Turnier im Chess960 statt. Anmeldeschluss für den Wettbewerb am 15. und 16. August, bei dem die Grundstellung der Figuren nach Bobby Fischers Regeln ausgelost wird, ist ebenfalls um 12 Uhr. Just mit der Legende aus den USA haben Portisch und Hort die Klingen gekreuzt. Nicht nur bei berühmten Turnieren, sondern auch nach Fischers Rückzug im Fischer Random Chess (FRC), als er sich in Budapest und Deutschland versteckte. Für den sperrigen Namen Fischer Random Chess sucht Schmitt einen griffigeren Ausdruck. Wer einen besseren Vorschlag hat als Chess960 - die Ziffer gibt die Zahl der unterschiedlichen Grundstellungen an -, erhält einen Sonderpreis. Dieser dürfte aber schwer einzuheimsen sein.

Bei den Chess Classic waren schon 2000 erste Gehversuche mit Shuffle Chess gewagt worden. Artur Jussupow spielte einen Zweikampf gegen Fritz on Primergy, der 0:2 endete. Im vergangenen Jahr ermittelten die Weltklasse-Großmeister Peter Leko und Michael Adams den ersten FRC-Weltmeister. Der Titel ging dabei knapp an den Ungarn, der als Jugendlicher ebenfalls mit Bobby Fischer in regem Kontakt stand. Nun folgt der dritte Schritt mit einem Turnier. "Ich hoffe, mehr Organisatoren schließen sich dem an und bringen denselben Mut auf. Nur dann kann sich ein Grand Prix und eine Bewegung im Chess960 entwickeln", meint Hort. Den gebürtigen Tschechen begeistert an Chess960 der Wegfall aller Eröffnungstheorie. "Bei Kasparow und anderen läuft doch der ganze Tag der Computer. Sicher, wir hatten diese Probleme vor 25 Jahren noch nicht. Und wir wären bestimmt auch drangegangen, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten. Aber ohne diese Eröffnungsvorbereitung bietet Schach doch viel mehr Spaß! Die spielen heute doch nicht mehr Schach, sondern erinnern sich nur. Der Mensch soll sich aber ans Brett setzen, ohne Angst haben zu müssen, in eine vorbereitete Theoriefalle zu tappen", erläutert Hort seine Sicht der Dinge. Die "Alternative" begeistert ihn, weil "die ganze Theorie wegfällt". Eine Reformierung des königlichen Spiels durch Chess960 schätzt der 58-Jährige allemal mehr als ständige "Zeitverkürzungen im klassischen Schach". Der Kölner ist der einzige Großmeister, der nur das Chess960-Turnier spielt. Beim Ordix Open fehlt er allerdings nicht aus Abneigung gegen das herkömmliche Spiel, sondern weil er am Abend des 18. August im WDR die alljährliche Schach-Fernsehpartie mit Helmut Pfleger moderiert.

Umgekehrt sieht es anders aus. Von den 39 Großmeistern und Großmeisterinnen, die für das Ordix Open meldeten, passen neun beim vorgeschalteten Chess960-Turnier. Darunter die als Schach-Puritaner bekannten deutschen Großmeister Raj Tischbierek, Chefredakteur des Magazins "Schach", und Alexander Graf. "Ausländische Großmeister haben kaum Berührungsängste beim Chess960, die deutschen Spieler zeigen hingegen größte Bedenken", stellte Schmitt bei den Voranmeldungen fest. Vadim Milov bestätigt ihn. Obwohl sich der Schweizer noch nie im Chess960 versuchte, wagte er die Meldung. "Es ist ein ganz neues Spiel für mich, und da ich im Grunde alle Spiele mag und es dazu noch etwas mit Schach zu tun hat ...", bemerkt Milov mit einem Augenzwinkern.

Um die Spielfreude der Cracks zu erhöhen, kombinierte der CCM-Organisator die Preisfonds. "Das imponiert mir besonders, dass Hans-Walter Schmitt auf strikte Gleichberechtigung zwischen dem guten, alten Schach und Chess960 achtet und sogar Kombinationspreise auslobt - wie bei den olympischen Winterspielen: Der wahre Allrounder kann eben Abfahrt und Slalom zugleich. Im abgewandelten Sinne ist das sogar emanzipatorisches Schach", äußert Eckhard Freise. Der Wuppertaler Professor für mittelalterliche Geschichte, erster Hauptgewinner bei Jauchs TV-Sendung "Wer wird Millionär", sammelte im Vorjahr auch erste Erfahrungen, als er das FRC-Journalistenturnier in Mainz genoss. Um möglichst viele Anhänger für "sein" Chess960 zu gewinnen, ermäßigt Schmitt nicht nur das Startgeld für Spieler, die an beiden Open teilnehmen, um zehn Euro. Anstatt jeweils 40 Euro pro Wettbewerb müssen nur insgesamt 70 Euro (FIDE-Meister und Jugendliche 45 Euro) überwiesen werden. Der Betrag enthält hierbei auch Freikarten für die Topveranstaltungen an jedem Abend, bei denen Viswanathan Anand und Weltmeister Ruslan Ponomarjow antreten. Von den über 30.000 Euro fließt gemäß den Meldezahlen ein prozentualer Anteil in das Chess960 Open. Nehmen beispielsweise 150 Spieler das Chess960 in Angriff und 300 das Ordix Open, wandert ein Drittel des Preisfonds (10.000 Euro) ins Chess960 Open, 66,6 Prozent (20.000 Euro) blieben den Besten im anschließenden Turnier. Außerdem gibt es im Congress Centrum Mainz eine Kombinationswertung, bei der der erfolgreichste Punktesammler in beiden Wettbewerben 1.000 Euro einstreicht. 700, 400, 200 und 100 Euro sowie jeweils 100 Euro in den Kategorien Damen, Senioren, U14, U18 und den Ratingklassen unter 1751, bis 2000, 2200 und 2400 runden die Sonderausschüttung ab. Nicht nur Schmitt ist gespannt, wie die Schachspieler den ambitionierten Versuch, Chess960 zu etablieren, annehmen.

Anmeldung Open: Juergen.Wienecke@t-online.de, Johannesallee 17, 65929 Frankfurt, Telefon: 069/300 88 591; Einzahlung des Startgeldes mit den Angaben: Name/Elo-DWZ/Verein/Geburtsjahr, Bankverbindung: Taunus-Sparkasse, Frankfurt-Höchst, Konto-Nr: 39 90 94 (BLZ 512 50 000).

Aktuelle Informationen zu allen Turnieren der Chess Classic Mainz finden sich auf der Webseite www.chesstigers.de.

 

"Ponomarjow hat sehr gute Nerven"
Favorisierter Anand zeigt Respekt vor jungem FIDE-Weltmeister
Fans überbieten sich bei Plätzen für das Kostenjuk-Simultan in Mainz

"Ponomarjow hat keine Chance", sprechen zahlreiche Insider dem amtierenden Schach-Weltmeister die Aussicht ab, den Zweikampf zu gewinnen. Derjenige, der so überlegen sein soll, heißt Viswanathan Anand - und wurde just von dem 18-jährigen Ukrainer vom Schach-Thron gestoßen. Aber anders als bei der WM des Weltverbandes FIDE im Dezember in Moskau wird bei den Chess Classic Mainz (14. bis 18. August) Schnellschach gespielt. Und das ist immer noch die Domäne von Anand. "Der Tiger von Madras" gewann die beiden letzten Auflagen des weltbesten Schnellschach-Turniers. 2001 schlug der Inder im "Duell der Weltmeister" Wladimir Kramnik in der Verlängerung. Das Jahr zuvor hatte Anand die versammelte Weltelite - in der 151-jährigen Schach-Historie spielten nur dort die kompletten Top Ten bei einem Event! - mit Garri Kasparow und Kramnik düpiert. Als Träger des Schwarzen Jacketts, das jeder Gewinner der Chess Classic erhält, geht der Großmeister vom Subkontinent als Titelverteidiger ans Brett. Den Fehler, den drei Plätze schlechter klassierten Weltranglistensechsten Ponomarjow zu unterschätzen, begeht Anand nicht: "Er wird eine schwer zu knackende Nuss darstellen, speziell im Schnellschach. Bei der WM in Moskau stellte ich fest, dass er sehr gute Nerven besitzt. Zum Beispiel, was er im Schnellschach-Tiebreak mit Jewgeni Barejew oder Sergej Tiwiakow anstellte. Sehr gute Nerven sind nützlich, um Schnellschach zu spielen. Ich werde ihn folglich nicht auf die leichte Schulter nehmen. Trotz seines Alters wird er nicht erst in Zukunft zu beachten sein, sondern ist jetzt schon enorm stark. Das Duell ist eine schöne Herausforderung, auf die ich mich sehr gut vorbereite."

Sieht sich Anand weiter als inoffizieller Schnellschach-Weltmeister? "Kasparow, Kramnik, Iwantschuk sind alle zu beachten", weicht der 32-Jährige etwas aus, ehe er verschmitzt hinzufügt, "okay, bei den Chess Classic bin ich natürlich der erfolgreichste Akteur." Hans-Walter Schmitt will sich als Organisator von Mainz während des Wettkampfs neutral verhalten. Seinem Ziehsohn traut der Bad Sodener aber durchaus den Titel-Hattrick zu. "Vishy ist der weltbeste Schnellschachspieler", betont Schmitt und freut sich, dass er mit Ponomarjow wieder einen Weltmeister in die Rheingoldhalle - diesmal sogar zum Deutschland-Debüt - locken konnte. Beide Recken machen während ihrer Vorbereitung Station bei ihm im Taunus. Vor allem Anand ist häufig zu Gast und hat inzwischen auch Deutsch gelernt. Nützlich ist dies für sein Engagement in der Bundesliga. Der bei Madrid lebende Spanier heuerte für die nächste Saison beim ambitionierten Bundesliga-Aufsteiger SC Baden-Oos an und wird der Elo-Beste sein, der jemals im deutschen Oberhaus brütete. Die prestigeträchtigen acht Partien, auf die sich auch Ponomarjow seit Wochen geflissentlich vorbereitet, beginnen in der Rheingoldhalle täglich um 18.30 Uhr. Am 16. und 17. August werden jeweils drei Schnellschach-Partien ausgetragen, am Sonntag, 18. August, stehen zwei Begegnungen an, bei Gleichstand folgt ein Blitz-Tiebreak.

Zu denselben Zeiten prallen Alexandra Kostenjuk und Elisabeth Pähtz auf der Bühne aufeinander. Die zwei jungen Damen stehen dabei keineswegs im Schatten der beiden Koryphäen! "Das Duell der Grazien" erregte im Vorfeld der Chess Classic Mainz bisher sogar mehr Aufmerksamkeit! Kesse Sprüche der Erfurter WM-Achtelfinalistin Elisabeth Pähtz ("Mit Schminke sieht jede gut aus") und die Ankündigung, als Vorbereitung auf das Match "auf jeden Fall zum Friseur zu gehen", trugen ihren Teil dazu bei. Die 17-jährige deutsche Großmeisterin will auf und neben dem Brett keinesfalls schlechter aussehen als Kostenjuk. Gegen die Vizeweltmeisterin führt Pähtz in der Gesamtbilanz seit dem ersten gemeinsamen Turnier bei der U10-WM mit 3,5:2,5. Die ein Jahr ältere Russin sorgt derweil nicht nur sportlich für Schlagzeilen. Als "Anna Kurnikowa des Schachs" wurde sie in zahlreichen deutschen wie internationalen Magazinen abgelichtet, seit sie auf der Webseite des Weltverbandes FIDE als "Lolita" posierte. Der französische Kosmetik-Konzern L'Oreal schloss auch einen Werbevertrag mit Kostenjuk ab, über den sich die Großmeisterin bis dato aber nicht detailliert äußern will. Die Moskauerin gefällt sich zwar als Cover-Girl, schätzt jedoch auch ruhige Stunden, in denen sie gerne Liebesgedichte schreibt. Da Elisabeth Pähtz als versierte Taktikerin und Schnelldenkerin gilt, rechnet sich die deutsche Nachwuchshoffnung durchaus Chancen gegen die Favoritin aus.

Bei der Wahl zum "Schachspieler des Jahres" auf der Webseite der Hamburger Software-Schmiede ChessBase setzte sich Kostenjuk vor dem Weltranglistenersten Garri Kasparow (Russland) durch. Ihre zahlreichen Fans machen sich auch bei den Chess Classic bemerkbar. Auf der Webseite www.chesstigers.de werden bis zum 3. August jeweils 20 Plätze für die Simultans mit Ponomarjow und Kostenjuk versteigert. Bei den ersten Zuschlägen gingen die Plätze im Kostenjuk-Simultan, das am 14. August (17 Uhr) an 25 Brettern stattfindet, für höhere Beträge weg als die gegen den gleichaltrigen FIDE-Weltmeister! Für eine Partie gegen Ponomarjow, der am 14. August (16 Uhr) an 40 Brettern antritt, boten Schachliebhaber bis zu 150 Euro (Stichtag: 27. Juli). Bis zu 155 Euro machten hingegen die Anhänger Kostenjuks locker, um einige Züge gegen ihre "Angebetete" spielen zu dürfen. Das Mindestgebot für das Kostenjuk-Simultan liegt bei 40 Euro, für Ponomarjow müssen mindestens 75 Euro berappt werden.

"Das schöne Mainzer Allerlei Mitte August finde ich besonders spannend", kommentiert Eckhard Freise die zahlreichen Wettkämpfe, die den Schachfans im Congress Center Mainz geboten werden. Der erste Gewinner einer Million Mark in der Jauch-Quiz-Show "Wer wird Millionär" ist dabei selbst involviert. Der Wuppertaler Professor für mittelalterliche Geschichte tritt in einem Handicap-Match mit dem Programm Junior 7 gegen den Weltranglisten-14. Peter Swidler (Russland) an. Advanced Chess spielen überdies am 15. August (ab 18.30 Uhr) Anand und Jens Beutel. Der Mainzer Oberbürgermeister erhält hierbei einen leistungsstärkeren PC für die Fritz-7-Software als der Weltranglistendritte. Vor den zahlreichen Höhepunkten erhalten alle Schachfreunde die Gelegenheit, sich selbst auf den 64 Feldern zu messen. Am 15. (Anmeldeschluss 12 Uhr) und 16. August wird erstmals ein Schnellschach-Open im Chess960 (Fischer Random Chess) ausgetragen. An den zwei folgenden Tagen (Anmeldeschluss am 17. August ist ebenfalls um 12 Uhr) folgt ein "normales" Schnellschach-Open mit 25 Minuten Bedenkzeit pro Partie. Insgesamt werden in beiden Turnieren 30.000 Euro an Geld- und Sachpreisen ausgeschüttet. Für das Ordix Open, das das größte Schnellschach-Turnier der Welt ist, meldeten bereits 32 Großmeister beziehungsweise Großmeisterinnen! Beim Debüt von Chess960 wollen sich mindestens 25 Großmeister beteiligen. Detailliertere Informationen zu den Open wie den Computer-Matchs erhalten Sie in gesonderten Texten.

 

Weltmeister Ponomarjow fordert Anand
Chess Classic Mainz auf August verlegt

Die Chess Classic Mainz werden dieses Jahr um rund sieben Wochen verlegt. Anstatt des traditionellen Termins Ende Juni findet das weltweit beachtete Schach-Turnier vom 15. bis 18. August statt. Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist der Starttag Mariä Himmelfahrt in Süddeutschland ein Feiertag. So muss eine Vielzahl von Chess-Classic-Fans nur einen Brückentag frei nehmen, um ins Schnellschach-Mekka pilgern zu können. Zum anderen ist der Titelverteidiger der Chess Classic, Viswanathan Anand, Ende Juni anderweitig beschäftigt. In Spanien misst sich der indische Ex-Weltmeister mit Wladimir Kramnik im Advanced Chess. Den russischen Champion hatte Anand im Vorjahr im "Duell der Weltmeister" in der Verlängerung bezwungen. Als nächsten Gegner für den Mainzer Titelverteidiger hat Organisator Hans-Walter Schmitt keinen Geringeren als Ruslan Ponomarjow verpflichtet! Der Ukrainer gewann im Januar die Weltmeisterschaft des Weltverbandes FIDE und ist mit 18 Jahren jüngster Champion aller Zeiten auf dem Schach-Thron. Ein brisantes Duell ist garantiert, weil Ponomarjow den Weltranglistendritten Anand als FIDE-Weltmeister ablöste. Die Favoritenrolle in dem von der Sparkasse Mainz gesponserten Match gebührt dennoch dem Inder, der als weltbester Schnellschachspieler gilt. Anfang Mai gewann er in überzeugender Manier das erstklassig besetzte Turnier in Prag - aus den Top 16 fehlte dabei nur Ponomarjow. Gegen den Ukrainer rechnet Anand "mit einem spannenden Wettkampf. Er hat sehr gute Nerven und ist ein ungeheuer zäher Gegner. Das hat er bei der Weltmeisterschaft in der Schnellschach-Verlängerung bewiesen".

Das Beiprogramm soll auch wieder äußerst attraktiv werden. Neben Vergleichen mit Mensch und Maschine sowie einem Simultan mit Ponomarjow, zu dem zahlreiche Prominenz geladen sein wird, steht wie gewohnt das größte Schnellschach-Open der Welt mit rund 500 Teilnehmern an. Besonderheit diesmal: Die Spieler haben die Chance, neben dem Turnier mit normalem Schach auch an einem ersten großen Turnier im Fischer Random Chess ihre Kräfte zu messen. Der üppige Preisfonds - 2001 hatte allein Sieger Michael Adams, Weltranglistenfünfter aus England, 10.000 Mark (rund 5.100 Euro) eingestrichen, heuer sind 25.000 Euro ausgesetzt - wird dabei entsprechend der Anmeldezahlen aufgeteilt! Schmitt plant auch im Vorfeld der Chess Classic Mainz einen Ideen-Wettbewerb. Dabei soll ein einprägsamerer Name für das Fischer-Schach gefunden werden. Die Einsender der besten Vorschläge dürfen besondere Preise als Lohn erwarten.




© 8.96 by Gerhard Hund Update 16.08.2002